Erst 1957 wurde die lebensnotwendige Bedeutung des Spurenelements Selen entdeckt. Bis dahin war das vom schwedischen Chemiker J. J. Berzelius im Jahr 1817 entdeckte Selen vor allem als wegen seiner Giftigkeit bekannt. Heute ist Selen wegen seiner lebenswichtigen Funktionen, nämlich als Bestandteil körpereigener Schutzenzyme, die bei der Verbrennung von Fett schädliche Sauerstoffradikale beseitigen, in aller Munde. Solche Zellschäden, die den Alterungsprozess beschleunigen und an der Entstehung von Krebserkrankungen schuld sind, können durch eine ausreichende Selen-Versorgung vermieden werden. Amerikanische Studien belegen eindeutig die vorbeugende Wirkung des Selens gegenüber Prostata-, Darm- und Lungenkrebs. Neu ist die Erkenntnis, dass bei Störungen der Schilddrüsenfunktion häufig nicht Jod- sondern Selenmangel im Spiel ist. In der Leber wirkt Selen bei der Ausschleusung von Schwermetallen aus dem Körper mit. Das Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen wird durch Selenmangel begünstigt.
Auch in Landwirtschaft ist die große Bedeutung des Selens in den vergangenen Jahren erkannt worden. Selen wird von den Pflanzen aus dem Boden aufgenommen und in Proteine eingebaut. Die deutschen Böden sind aber (durch Auswaschung, Versauerung und einseitige Stickstoff- und Schwefeldüngung) inzwischen so verarmt, dass die gesamte Bundesrepublik zu den Selenmangelländern gerechnet werden muss. Enthielt deutscher Weizen im Jahre 1968 noch 100 – 300 Mikrogramm Selen/kg, so sind es heute nur noch 10 – 25 Mikrogramm. Im Weidegras findet man heute nur noch zwischen 5 und 30 Mikrogramm Selen/kg Trockenmasse. Diese dramatische Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen für die Ernährung von Mensch und Tier.
Deutsche Ernährungswissenschaftler empfehlen eine tägliche Selen-Aufnahme von 55 - 70 Mikrogramm/Tag. Diesen Selenbedarf konnte man 1968 noch weitgehend über den Verzehr von 250 g Brot decken. Heute stecken in der gleichen Brotmenge nur noch 5 Mikrogramm ! So beträgt die tägliche Selenaufnahme des Bundesbürgers heute zwischen 30 und 41 Mikrogramm, d.h. der Durchschnitts-Bundesbürger leidet unter latentem Selenmangel mit entsprechenden negativen Folgen für die Gesundheit. Auch in der Landwirtschaft bereitet der Selenmangel Probleme.
Statistische Auswertung der Selenversorgung von 194 Grünlandflächen im Bundesgebiet:
Trotz Beimischung von Selen in Leistungs- und Mineralfutter konnte die Versorgungssituation nicht durchgreifend verbessert werden. So ist z.B. in Hessen oder im Weser-Ems-Gebiet die Selen-Versorgung nur bei einem Viertel der Rinderbestände in Ordnung. In grünlandstarken Regionen wie der Eifel sieht es noch schlechter aus. Ursache ist zum einen die begrenzte Bioverfügbarkeit der anorganischen Selenformen in den Futtermitteln und zum anderen die schlecht kontrollierbare Aufnahme der Mineralfutter. Viele extensiv gehaltene Weiderinder erhalten überhaupt kein Mineralfutter. Die Folgen von Selenmangel beim Rind sind Fruchtbarkeits- und Wachstumsstörungen sowie Muskelerkrankungen (Muskeldystrophie oder Weißmuskelkrankheit genannt). Komplikationen beim Kalben, Abgänge und Plazentaverhaltungen treten vermehrt auf. Das Risiko bakterieller Infektionen, wie Mastitis, ist erhöht. Totgeborene oder lebensschwache Kälber sind in vielen Fällen ebenfalls auf Selenmangel zurückzuführen. Die finanziellen Schäden sind enorm.
Kriterien zur Beurteilung der Selenversorgung beim Rind:
Schon vor 20 Jahren haben wir in Zusammenarbeit mit renommierten Fachinstituten damit begonnen, Grünland- und Getreidebestände über eine Blattdüngung ganz gezielt mit Selen anzureichern. Das so verabreichte Selen wird von den Pflanzen in Form von Selenoproteinen gespeichert. Ergebnisse aus Fütterungsversuchen in Schweden, Irland, Neuseeland und den USA, aber auch Praxiserfahrungen in der Eifel haben gezeigt, dass dieses pflanzengebundene Selen höchst effizient ist. 0,75 Milligramm dieses organischen Selens in der Tagesration konnte die Blutwerte fast genauso verbessern wie die vierfache Menge anorganisches Selen. Auch in der Milch macht sich die Zufuhr organischen Selens bemerkbar: Während anorganisches Selen kaum eine Erhöhung bewirkt, verdoppelte die organische Form den Selengehalt (von 15 Mikrogramm/l auf 31 Mikrogramm/Liter).
Worin liegt die Ursache für die bessere Wirkung von organischem Selen ?
Anorganisches Selenat wird beim Verdauungsprozess zu Selenit reduziert. Dieses Selenit ist nur schlecht bioverfügbar und geht zum größten Teil über Kot, Harn, Schweiß und Atemluft verloren.
Dagegen können die selenhaltigen Aminosäuren (Bausteine der Proteine) direkt in die Körperproteine (Muskeln, Milch, Blutkörperchen, Fötus) eingebaut und in der Leber gespeichert werden.
Fazit: Über unsere moderne Ausbringtechnik ist eine gezielte Anreicherung der Pflanze mit bioverfügbarem, organischem Selen möglich bei gleichzeitig geringen Kosten möglich.
Inzwischen ist die Selen-Düngung vom Gesetzgeber für das gesamte Bundesgebiet freigegeben worden. Einerseits ist dieser Schritt zu begrüßen, anderseits birgt der freie Zugang zu Selen auch erhebliche Gefahren: Während eine Selengabe von 5 Gramm je Hektar noch nützlich ist, können sich schon 12 oder 15 Gramm als schädlich oder gar giftig erweisen. Deshalb sind zuverlässige Analysen, eine kompetente Beratung und eine fachgerechte Ausbringung unerlässlich, um die Düngung richtig bemessen und den Erfolg sicherstellen zu können. Ansonsten sollte man besser die Finger davon lassen.